WSG 2009 3 - Quallifizierter Treuebruch (Leitentscheid)
WSG-Nr. 3/2009
Urteil des Wirtschaftsgerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichter Bähler (Präsident i.V.), Oberrichter Greiner und Oberrichter Trenkel sowie Kammerschreiber Cesarov
vom 12. Februar 2010
in der Strafsache gegen
A.
und
B.
beide amtlich verteidigt durch Fürsprecher X.
Angeschuldigte
C.
vertreten durch Rechtsanwalt Y.
Privatkläger
wegen qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung, Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung ev. betrügerischen Konkurses, Unterlassung der Buchführung und Urkundenfälschung
Regeste:
Die Strafdrohung des qualifizierten Treuebruchs ist so zu verstehen, dass altrechtlich auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren Gefängnis (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 aStGB) und neurechtlich auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe erkannt werden kann (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 3 StGB).
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Keine.
Auszug aus den Erwägungen:
[...]
V. Strafzumessung
[...]
V.2.1 Strafrahmen
V.2.1.1 Qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung
Die Strafandrohung des Grundtatbestandes der ungetreuen Geschäftsbesorgung lautete altrechtlich auf Gefängnis. Handelte der Täter in Bereicherungsabsicht, „konnte“ auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden (Art. 35 aStGB i.V.m. Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 3 aStGB). Im Zuge der Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, wurde die altrechtliche Strafandrohung „Gefängnis“ mit „Geldstrafe“ ersetzt und „Zuchthaus“ mit „Freiheitsstrafe von einem Jahr“ (AS 2006, S. 3502), da die Zuchthausstrafe altrechtlich mindestens ein Jahr betrug (Art. 35 aStGB). Neurechtlich „kann“ das Gericht im qualifizierten Fall auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahre erkennen.
Die Strafandrohung wird von der Staatsanwaltschaft dahingehend verstanden, dass der qualifizierte Fall eine einjährige Mindestfreiheitsstrafe vorsehe. Dieser Ansicht kann sich das Wirtschaftsstrafgericht aus den folgenden Gründen nicht anschliessen:
Erstens handelt es sich aufgrund der „Kann-Formulierung“ klar um eine fakultative Strafschärfung (vgl. Kommentierung zu Art. 144 StGB, welcher eine identische Strafdrohung besitzt: Basler Kommentar (BSK) StGB-II, Philippe Weissenberger, 2. Auflage, Art. 144 N. 55). Dies zeigt sich auch im Vergleich zu Strafbestimmungen, welche zwingend eine einjährige Mindestfreiheitsstrafe vorsehen (z.B. Art. 190 Abs. 1 StGB).
Zweitens bedrohte Art. 159 aStGB den Täter, der aus Gewinnsucht gehandelt hat, mit Gefängnis bis fünf Jahren und Busse. Dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Teilrevision des Vermögensstrafrechts (neu) eine einjährige Mindestfreiheitsstrafe hätte einführen wollen, findet sich kein Anhaltspunkt. Im Gegenteil wurde bei der Revision des Vermögensstrafrechts das Höchstmass der Zuchthausstrafe (entgegen der Expertenkommission, welche zehn Jahre beantragt hatte) auf fünf Jahre festgesetzt, wodurch der Fall des Treuebruchs mit Bereicherungsabsicht einerseits mit dem Missbrauchstatbestand und andererseits mit den Tatbeständen des Betrugs und des betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage in Einklang gebracht werden sollte (vgl. Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 24. April 1991, BBl. 1991 II S. 1049, i.F. zitiert als „Botschaft 1991“). Dies ist insofern einsichtig, als die Bereicherungsabsicht im Bereich der strafbaren Handlungen gegen das Vermögen die Regel bildet und kein Qualifikationsmerkmal darstellt (vgl. Art. 137 Ziff. 1, Art. 138 Ziff. 1, Art. 139 Ziff. 1, Art. 146 Abs. 1, Art. 147 Abs. 1 StGB, etc.).
Drittens: Gemäss dem sog. Missbrauchstatbestand von Art. 158 Ziff. 2 StGB wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren Gefängnis bzw. Freiheitsstrafe von fünf Jahren Geldstrafe sanktioniert, wer in Bereicherungsabsicht die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag Rechtsgeschäft eingeräumte Ermächtigung, jemanden zu vertreten, missbraucht. Der Treuebruchund Missbrauchstatbestand überschneiden sich weitgehend (Stratenwerth/Jenny, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil (BT-I), 6. Auflage, § 19 N. 22). Kann ein Verhalten unter beide Ziffern subsumiert werden, so geht Art. 158 Ziff. 1 StGB vor (Donatsch, ZStrR 1996, S. 218; BSK StGB-II, a.a.O., Marcel A. Niggli, Art. 158 N. 153). Wie erwähnt wurde die Höchststrafe im Rahmen der Revision des Vermögensstrafrechts auf fünf Jahre festgelegt, um die Art. 158 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB anzugleichen (Botschaft 1991, a.a.O., S. 1049). Würde der Treuebruchtatbestand eine einjährige Mindestfreiheitsstrafe vorsehen, wäre wohl kaum von einer Angleichung die Rede gewesen.
Viertens ist die Abgrenzung des Treuebruchtatbestandes zur Gutsveruntreuung (Art. 138 Ziff. 1 StGB) umstritten (Donatsch, ZStrR 1996, S. 219; ders., ZStrR 2002, S. 23). Die beiden Tatbestände sind vom Rechtsgut und vom Unrechtgehalt her praktisch identisch: In beiden Fällen verletzt der Täter in Bereicherungsabsicht das in ihn gesetzte Vertrauen unter Verletzung des Vermögens des Treuegebers. Es erstaunt daher auch nicht, dass die Veruntreuung altrechtlich nicht mit einer einjährigen Mindestfreiheitsstrafe, sondern mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren Gefängnis (Art. 138 ziff. 1 Abs. 3 aStGB) bzw. neurechtlich mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe sanktioniert wird (Art.138 Ziff. 1 Abs. 3 StGB). Würde Art. 158 Ziff. 1 StGB tatsächlich zwingend eine einjährige Mindestfreiheitsstrafe vorsehen, so wäre der Täter, dessen Tat unter Art. 138 Ziff. 1 Abs. 3 StGB subsumiert würde, deutlich besser gestellt, als derjenige, dessen Tat unter Art. 158 Ziff. 1 StGB gewürdigt wird, obwohl das verletzte Rechtsgut und der Treuebruch praktisch identisch sind.
Fünftens sollte die Strafandrohung von Art. 158 Ziff. 1 StGB an diejenige des Betrugs und des betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage angeglichen werden (Botschaft 1991, a.a.O., S. 1049). Beide Bestimmungen drohen Zuchthaus bis zu fünf Jahren Gefängnis (Art. 146 Abs. 1 und Art. 147 Abs. 1 aStGB) bzw. Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe an (Art. 146 Abs. 1 und Art. 147 Abs. 1 StGB).
Sechstens wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz nulla poena extra culpam offensichtlich nicht vereinbar, wenn ein Täter, der in Bereicherungsabsicht einen Schaden von etwas mehr als CHF 300.00 (Art. 172ter Abs. 1 aStGB/StGB) verursacht hat, zwingend mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert werden müsste.
Demnach ist die Strafdrohung des qualifizierten Treuebruchs so zu verstehen, dass altrechtlich auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren Gefängnis (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 aStGB) und neurechtlich auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe erkannt werden kann (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 3 StGB).
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